Gestern habe ich mich seit langer Zeit mal wieder mit einer sehr guten Freundin von mir getroffen. Im Gespräch haben wir uns über die Pläne für das kommende Wochenende unterhalten. Sie erzählte mir, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann auf einer großen Grillfeier von Freunden eingeladen ist, aber eigentlich gar keine rechte Lust hat, hinzugehen. Sie hätte eine anstrengende Woche hinter sich und eigentlich würde sie sich viel lieber gemütlich mit einem Drink und einem Buch bewaffnet alleine in den Garten setzen und sich einfach mal gern haben lassen. Auf meine Frage hin, was denn dagegen sprechen würde, nicht hin zu gehen, antwortete meine Freundin, dass sie das doch nicht machen könne, weil sie doch zugesagt hat und sie sonst ein total schlechtes Gewissen hätte.
Diese oder so ähnliche Situationen kennen sicherlich viele von uns in einer mehr oder weniger ausgeprägten Form. Doch woher kommen Schuldgefühle und was haben sie eigentlich für einen Sinn?
Die Psychologin und Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl erklärt in ihrem Buch "Schuldgefühle", dass wir immer dann ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn wir ein inneres Gesetz oder einen inneren Auftrag brechen. Wenn beispielsweise Jemand ein Auto touchiert und ohne Bescheid zu geben, wegfährt, ist es berechtigt, wenn derjenige ein schlechtes Gewissen bekommt. Schließlich ist Fahrerflucht eine gesetzlich geregelte Straftat. Da macht ein schlechtes Gewissen also durchaus Sinn und hält sicherlich die meisten auch davon ab, wirklich Fahrerflucht zu begehen. Wissenschaftler nennen dies übrigens prosoziale Verhaltensmotivation.
In dem obigen Beispiel meiner Freundin gibt es aber kein rechtliches Gesetz, gegen das sie verstößt, wenn sie sich entscheidet, nicht auf die Grillfeier zu gehen. Und doch hat sie ein schlechtes Gewissen. Innere Gesetze müssen also noch etwas anderes sein. Den Schlüssel zur Antwort finden wir in folgendem Satz: Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind!
Innere Gesetze sind nämlich zumeist Ergebnis der Erziehung bzw. von uns selbst konstruiert und daher tatsächlich meist ungerechtfertigt. Die inneren Gesetze unterscheiden sich also je nach Person und können damit auch nicht objektiv sein. Interessant ist außerdem, dass laut Forschung scheinbar Frauen stärker zu Schuldgefühlen neigen als Männer und ein schlechtes Gewissen eng mit Empathiefähigkeit zusammenhängt.
Sätze wie "Ich muss pünktlich sein", "Ich darf nicht Nein sagen", "Ich muss den Erwartungen entsprechen" etc. helfen uns daher meist wenig, sondern vermiesen uns die Laune und machen uns krank.
Doch weil wir Schuldgefühle nur sehr schlecht ignorieren können, brauchen wir andere Strategien für den Umgang:
- Eine Idee wäre, sich das Gefühl in dem Moment bewusst zu machen und aufzuschreiben. So bekommen wir im Laufe der Zeit eine Art Landkarte unserer Schuldgefühle, die wir dann auf deren Objektivität oder eben nicht prüfen können.
- Auch ein Perspektivwechsel kann hilfreich sein: Entweder mit der einfachen Frage "Was ist das schlimmste, was passieren kann?" oder sich vorzustellen, wie wohl das eigene 80-Jährige-Ich die Situation einschätzen würde.
- Innere Gesetze sind oft mit dem Wörtchen "muss" versehen, welches dazu führt, dass wir uns ausgeliefert und uns unserer Freiheit beraubt fühlen. Doch wirklich "müssen" müssen wir sehr wenig in unserem Leben. Es lohnt sich also, auf Sprache und Formulierung zu achten. Und zwar bei sich selbst und bei Anderen.
- Innere Gesetze spielen sich in unserem Kopf ab und gehen meist einher mit voreiligen Schlüssen und Vermutungen. Meine Freundin beispielsweise war davon überzeugt, dass die Gastgeber eingeschnappt wären, wenn sie absagt. Doch wirklich wissen konnte sie es nicht. Wenn Sie sich das nächste Mal selbst dabei ertappen, Vermutungen anzustellen, versuchen Sie doch einfach mal Ihr Gegenüber zu fragen. Meist ist es nämlich halb so wild.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Entscheidungen mit gutem Gewissen!
Ihre
Barbara Ries
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